Lieferkettengesetz: das kommt auf die deutsche Wirtschaft zu

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In der öffentlichen Anhörung am 28. Oktober 2020 kam es zu einem denkwürdigen Update für das Lieferkettengesetz. Wie wird die deutsche Wirtschaft von dem Lieferkettengesetz betroffen sein?

Der globale Welthandel macht es nötig

Wertschöpfungsketten umschlingen den Erdball und erzeugen im Volumen achtzig Prozent des gesamten Welthandels. Über 450 Millionen Menschen hängen direkt oder indirekt von den weltweiten Lieferketten ab. In der deutschen Wirtschaft sind über eine Million Unternehmen mit Import oder Export in Berührung. Ihr Umsatz spricht Bände: 2,4 Billionen Euro setzten diese Unternehmen im Jahr 2018 um.

Anteil ausländischer Wertschöpfung in der deutschen Industrie
Branche Anteil der Wertschöpfung im Ausland
Textilindustrie 63 %
Elektronik 45 %
Chemische / pharmazeutische Industrie 39 %
Lebensmittelindustrie 37 %
Automobilindustrie 29 %
Maschinenbau 28 %

Die Globalisierung brachte es mit sich, dass zunehmend umweltschädliche und schmutzige Arbeit aus Europa weg in Entwicklungs- und Schwellenländer abwanderte. Vorzugsweise siedelten sich diese Industrien in Südostasien an. In Europa verblieben die sehr produktiven und als sauber geltenden Industrien.

Die Produktion in diesen Ländern verändert dort Menschen, Umwelt und die lokale Wirtschaft. Dies führt dazu, dass angestammte Wirtschaftszweige verschwinden, Chemikalien Flüsse verseuchen und Menschen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen – unter anderem über 70 Millionen Kinder. Die Fälle sind uns bekannt: Textilfabriken, Plantagen und Steinbrüche.

Mehr Rechtssicherheit durch das Lieferkettengesetz

Während sich der deutsche Verbraucher den Kaffee aus Brasilien schmecken lässt, hat die deutsche Wirtschaft mit den Folgen der globalen Lieferketten zu kämpfen. Deutsche Unternehmen sind weit vorn in der Erhöhung der Transparenz in der Lieferkette und damit ganz vorn im Eintreten für Menschenrechte und Umweltstandards in der Wirtschaft. An dieser Stelle muss Daimler als ein Unternehmen genannt werden, welches im Rahmen eines Pilotprojektes seiner Kobalt-Lieferkette Transparenz einhauchte.

So sehr deutsche Unternehmen auch für Menschenrechte und Umweltstandards eintreten, so sehr haben sie unter den gleichen Bedingungen zu leiden. Es sind nämlich all jene internationalen Unternehmen, welche Menschenrechte und Umweltstandards missachten und damit preisgünstig anbieten, die der deutschen Wirtschaft als Wettbewerber das Leben schwer machen. Das Eintreten für Menschenrechte und Umwelt ist letztlich nur möglich, wenn sich alle Unternehmen dazu bereit erklären. Für deutsche Unternehmen ist es hier wichtig Rechtssicherheit zu erlangen, damit eigene lobenswerte Bemühungen nicht mit Wettbewerbsnachteilen geahndet werden. Und genau hier kann und soll das Lieferkettengesetz ansetzen.

Setzt Blockchain das Lieferkettengesetz durch?

Wie ist die Transparenz in der Lieferkette zu erreichen? Wie aufrecht zu erhalten? Das Pilotprojekt von Daimler hat einen Weg aufgezeigt. Den Weg zu gehen helfen digitale Technologien wie zum Beispiel Blockchain. Dies wiederum ist eine Chance für deutsche Unternehmen wie SAP, sich im Kontext des Lieferkettengesetzes zu positionieren.

Was nun ansteht, ist die Regulierung der Lieferketten. Das Lieferkettengesetz wird dies leisten. Doch was folgen muss ist die Überwachung der Einhaltung der Transparenz.

Kürzere Lieferketten für weniger Intransparenz

Ein anderer Trend ist das Verkürzen der Lieferketten in ganz verschiedenen Branchen. Hier entfalten Tchibo aber auch Unternehmen der Automobilbranche Aktivitäten. Mit „Direct Sourcing“ will die deutsche Wirtschaft vor Ort mehr Einfluss auf die Produktion der Zulieferer nehmen.

Der Anstoß für das Mehr an Einflussnahme geht freilich auf heimische Konsumenten und Investoren zurück, welche ihrerseits eine Abkehr von den bisherigen Produktionsverhältnissen einforderten. Die erwünschte Transparenz soll dazu führen, unliebsame Praktiken der Zulieferer zu erkennen und auf deren Beseitigung Einfluss zu nehmen.

Infografik: "Monatliches Einkommen von Kleinbauern in Kakaoregionen" - Menschenrechte und  Lieferkettengesetz.

Infografik: „Monatliches Einkommen von Kleinbauern in Kakaoregionen“ – Menschenrechte und Lieferkettengesetz.

Urteile weisen auf Handlungsbedarf hin

Dass das Lieferkettengesetz die bestehenden Rechtsunsicherheiten beseitigen muss, machen aktuelle Urteile deutlich. So wandte das Landgericht Dortmund im Fall des Textildiscounters KiK im Zusammenhang mit dem Feuer in der Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi pakistanisches Recht an, weswegen die Klage wegen Verjährung abgewiesen wurde. Der Fall ging im Januar 2019 durch die Presse.

Ende 2019 schließlich kam es zur Sammelklage gegen Tesla, Apple, Alphabet, Microsoft und Dell. Sujet sind die Kinder von 14 Familien, die zur Arbeit in Kobalt-Minen im Kongo gezwungen worden sein sollen. Hier jedoch soll der sogenannte US The Trafficking Victims Protection Act greifen, der für in den USA tätige Unternehmen eine Haftung für Zwangsarbeit bei Zulieferern vorsieht.

Der Vergleich der beiden Fälle macht deutlich, dass einheitliche und transparente gesetzliche Standards nötig sind. Für die betroffenen Unternehmen verbleibt ein Reputationsschaden, weil diese ihre Möglichkeiten zur Eindämmung der Missstände nicht ausgeschöpft haben – auch wenn die Klagen erfolglos bleiben.

Was kann das Lieferkettengesetz leisten?

Top 1: UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte werden Standard

Die Definition von Transparenz hilft, einheitliche Maßstäbe anzulegen. So kann das Lieferkettengesetz die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als Grundlage festlegen. So wird Transparenz vereinheitlicht und eindeutig bezeichnet, was offengelegt werden muss. Dazu gehören in diesem Fall Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- und Zwangsarbeit.

Top 2: Klärung des Verhältnisses zu Zulieferern

Im Innenverhältnis zwischen Produzenten und Zulieferern wird eindeutig festgelegt, welche Informationen eingefordert und welche Informationen geliefert werden müssen.

Top 3: Vereinheitlichung

Wenn die Transparenzprozesse vereinheitlicht und standardisiert werden, kann dies zu technischen Lösungen führen, welche helfen, die Abläufe zu automatisieren und damit die Aufwände für die Einhaltung des Lieferkettengesetzes zu minimieren.

Top 4: Rechtlicher Rahmen für Branchen

Wenn Branchen an einer Lösung für das Lieferkettenthema arbeiten, ermöglicht das Lieferkettengesetz eine Bündelung der Aktivitäten. Die Rechtssicherheit lässt auch benachbarte Rechtsgebiete wie Kartellrecht und Datenschutz sicher in die Prüfungen einbeziehen.

Wie wird das Lieferkettengesetz die Ziele umsetzen?

Ein Gesetz ist nur so gut wie die Veränderungen, die es bewirkt. So bleibt denn die Frage, wie das Lieferkettengesetz das Handeln der Weltwirtschaft nachhaltig zum Guten hin beeinflusst. Das Lieferkettengesetz wird also drei Komponenten in sich tragen.

  • Abhilfe
  • Verhaltenssteuerung
  • Wirksamkeit

Die Komponente „Abhilfe“ wird all jene Aspekte abbilden, welche die Menschenrechte in den rücksichtslosen Ländern der kritischen Weltregionen betreffen. Hier geht es darum, den Menschen einen Ausweg aus ihrer Situation zu ermöglichen und die Einhaltung der Menschenrechte zu forcieren.

Die Komponente „Verhaltenssteuerung“ befasst sich mit der Frage, wie Unternehmen motiviert werden können, zur Erreichung der Zielsetzung des Lieferkettengesetzes ( Menschenrechte und Umweltstandards ) beizutragen.

Die Komponente „Wirksamkeit“ bildet den rechtlichen Mechanismus ab, welcher dafür sorgt, dass die Regelungen des Lieferkettengesetzes der beiden anderen Komponenten auch tatsächlich angewandt werden.

Abhilfe im Lieferkettengesetz

Nach Artikel 8 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Artikel 14 des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte haben Opfer von Menschenrechtsverletzungen einen theoretischen Anspruch auf ein faires gerichtliches Verfahren. Praktisch besteht der Rechtsschutz jedoch nicht. Durch entstandene Rechtslücken können deutsche Unternehmen, welche an den Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, rechtlich nicht belangt werden. Hierfür gibt es zwei Gründe.

  • Opfer von Menschenrechtsverletzungen mangelt es an Klagemöglichkeiten, wodurch viele Menschenrechtsverletzungen nicht den Weg in einen Prozess finden.
  • Es fehlt an Gesetzen, welche Vorgaben zur Einhaltung der Menschenrechte definieren. Dadurch haben Opfer von Menschenrechtsverletzungen keine rechtliche Handhabe gegen die Rechtsverletzungen.

Hier soll das Lieferkettengesetz eingreifen und eine zivilrechtliche Haftung implementieren, so dass Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern vor einem deutschen Gericht verhandelt werden können. Dies wird dann möglich sein, wenn ein deutsches Unternehmen an den Rechtsverletzungen beteiligt war und es dabei seine Pflichten aus dem Lieferkettengesetz vernachlässigt hat.

Während eine solche Verantwortlichkeit für deutsche Unternehmen gegenüber Personen im Inland selbstverständlich ist, schließt damit das Lieferkettengesetz die rechtliche Lücke, welche durch die Globalisierung entstanden ist.

Verhaltenssteuerung im Lieferkettengesetz

Die Komponente „Verhaltenssteuerung“ soll Unternehmen dazu bewegen, durch vorausschauendes und sorgfältiges Handeln die Verletzung von Menschenrechten und das Schädigen der Umwelt zu vermeiden. Dabei lehnt sich das Lieferkettengesetz an das UN-Leitprinzip Nr. 17 an.

Zur Umsetzung sieht das Lieferkettengesetz sowohl öffentlich-rechtliche Sanktionen als auch eine zivilrechtliche Haftung vor. Diese Verknüpfung der Vorschriften mit Sanktionen knüpft an die Lehren an, welche in einer Studie der Universität Sheffield aus einer Analyse der Wirksamkeit des britischen Modern Slavery Act (ohne Sanktionen) und dem Bribery Act (mit Sanktionen) gezogen wurden. Hier erkannte man, dass eine Haftbarkeit den Regelungen zu mehr Beachtung in den Unternehmen verhilft.

Umgekehrt führt eine klare Regelung der Verantwortlichkeiten und der Haftung im Lieferkettengesetz zu einer einfacheren Risikoabgrenzung in den Unternehmen. Während derzeit unterschiedliche nationale Gesetze verschiedene Verantwortlichkeiten und Sorgfaltspflichten definieren, führt das Lieferkettengesetz eine allgemein verbindliche Basis ein. Schon jetzt ist absehbar, dass das Lieferkettengesetz vor allem das Prinzip des deutschen Deliktsrechts für die Haftung aufgrund eigenem Verschulden abbilden wird.

Zudem soll das Lieferkettengesetz die Haftung der Unternehmen auch abgrenzen und bestehende Haftungsgrenzen erhalten.

  1. Haftung nur für die Verletzung eines geschützten Rechtsguts

    Das künftige Lieferkettengesetz soll eine deliktische Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB nur für die Verletzung eines geschützten Rechtsguts implementieren. Zu den geschützten Rechtsgütern zählen Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und sonstige Rechte.

  2. Haftung nur bei kausaler Verursachung

    Hat das Unternehmen seine Sorgfaltspflichten verletzt und ist diese Verletzung der Sorgfaltspflichten für den entstandenen Schaden ursächlich, kommt es zur Haftung. Zusätzlich ist zu beachten, dass die Sorgfaltspflichten einschließen, sich in angemessener Weise zu bemühen. Die Sorgfaltspflichten schließen keine Garantien ein und auch keine Pflicht, bestimmte Rechtsverletzungen oder Schäden zu verhindern.

  3. Haftung nur bei Verschulden

    In diesem Fall werden außer in Fällen von Vorsatz die Kriterien zu fahrlässigem Verhalten implementiert. Dies beinhaltet die Maßgabe, dass ein Schaden sowohl vorhersehbar als auch vermeidbar war. Für die Unternehmen beschränkt sich somit die Haftung im Wesentlichen auf Fälle, in welchen das Unternehmen hätte Einfluss nehmen können.

Für die Unternehmen bedeutet dies, dass eine Haftung aus dem Lieferkettengesetz dann zu erwarten ist, wenn

  • die Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen Kenntnis hatten oder durch eine pflichtgemäße Prüfung hätten erwarten müssen.
  • die Unternehmen nichts unternommen haben diese Menschenrechtsverletzung zu verhindern.

In der praktischen Umsetzung erwachsen den Unternehmen Haftungsrisiken vor allem aus der Geschäftstätigkeit mit direkten Vertragspartnern. Geschäftspartner in den nächstfolgenden Gliedern der Lieferkette sind von den Sorgfaltspflichten eher nocht mehr betroffen.

Wirksamkeit im Lieferkettengesetz

Die Wirksamkeit des Lieferkettengesetzes soll vor allem durch die Instrumente der Beweislastregelung und der Internationalen Geltung herbeigeführt werden.

Die Beweislast soll auf die Unternehmen verlagert werden. Grund hierfür ist, dass für die Beweisführung bei Sorgfaltspflichtverletzungen ein Einblick in interne Unterlagen der Unternehmen nötig ist, was den Opfern von Menschenrechtsverletzungen kaum möglich sein wird. Hier verspricht man sich auch eine bessere Dokumentationder Einhaltung der Sorgfaltspflichten seitens der Unternehmen.

Das Lieferkettengesetz soll an den Artikel 16 der Rom-II-Verordnung geknüpft werden, wodurch es internationale Geltung erhält. Dies bringt sowohl für Unternehmen wie für Interessenvertreter und Gerichte eine Vereinfachung: die Ermittlung ausländischen Rechts entfällt.

Quelle: Stellungnahme von Maren Leifker, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte zur Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags am 28. Oktober 2020.

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