Medizinische Einwegkanülen im Spritzverfahren wirtschaftlich produziert

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Reinraumtechnik kann in der Medizin und der Pharmazie auf eine lange Tradition zurückblicken. Im Gegensatz zu anderen Branchen, in denen die Herstellung technischer Produkte in partikelarmer Umgebung noch in den Kinderschuhen steckt und sich vielen Vorbehalten und Vorurteilen hinsichtlich Effektivität ausgesetzt sieht, hat sich die Medizintechnik die Prinzipien und Standards einer Spritzgießproduktion im Reinraumverfahren schon früh zunutze gemacht, und Sinn und Nutzen erkannt.

Dabei werden spezielle Anforderungen an Reinheit der Produktionsumgebung beim Fertigungsprozess gestellt.

Gesteigerte Dokumentationspflicht wirkt sich auf erhöhten Dokumentationsaufwand aus

Der hohen Nachfrage nach medizinischen Einwegkanülen wird durch kunststoffverarbeitende Verfahren wie

  • Mikro-Spritzgießen
  • Pulver-Spritzgießen oder
  • Mould Labelling

nachgekommen, die auch in Industrie und Handwerk im Rahmen von Reinraumanwendungen zur Anwendung kommen. Spritzgussteile werden üblicherweise aus Biopolymeren, Fest- und Flüssigsilikon oder Duroplasten erzeugt.

Jene Reinraumanwendungen sind denn auch seit vielen Jahren schon im Rahmen von Spritzgießverarbeitungen Standard, insbesondere bei der Herstellung medizinischer Einwegartikel wie steriler Infusionsschläuche oder Einwegkanülen. Dabei kleben vollelektrische Spritzgießmaschinen traditionell die Injektionsnadeln ein, während neuere Techniken etwa das vereinzelte Zuführen der Nadel über ein sogenanntes Needle Feed System (NFS) in die Fertigungszelle beherrschen, bevor die Nadel etwa mit einem Polymer umspritzt wird.

Um Sterilität zu gewährleisten und möglichen Kontaminationen vorzubeugen muss die Produktionsumgebung von Stauben, Hautschuppen und Bakterien vollständig frei sein.

Reinraumtechnik kann in der Medizin und der Pharmazie auf eine lange Tradition zurückblicken. (#01)

Reinraumtechnik kann in der Medizin und der Pharmazie auf eine lange Tradition zurückblicken. (#01)

Modul-Beispiele im Reinraum

An den Reinraum werden entsprechend hohe Anforderungen gestellt, so dass hier stets mit verschiedenen Pumpen, Luftströmen und Absauganlagen gearbeitet wird. Vakuumpumpen werden mitunter auch direkt im Reinraum an den Produktionsanlagen eingesetzt. In der Reinraumumgebung tragen die Pumpen dazu bei,

  • eventuelle Vorvakuumleitungen ins Pumpengeschoss und ihre eventuelle Beheizung einsparen
  • Leitwertverluste verringern

zu können.

Für Reinraumanwendungen geeignet sind etwa trockenlaufende Drehschieber-Vakuumpumpen mit abriebfesten Schiebern geeignet, da sie vollkommen öl-frei arbeiten. Ansaugfilter und Regulierventile sind dabei in den Modellen gleich mitintegriert. Im exzentrisch drehenden Rotor befinden sich durch Federn belastete Schieber, die gegen die Innenwand des Gehäuses gedrückt werden und dort entlang gleiten. Das auf der Saugseite eingeschlossene Gas wird sowie komprimiert, bis es den Umgebungsdruck übersteigt und sich das Auslassventil auf der Druckseite öffnet.

Auch wird der Pumpentyp als Vor-Pumpe mit einer weiteren Wälzkolben-Vakuumpumpe kombiniert. Laufende Kosten verursachen auch Filter Fan Units oder auch FFU im Dauerbetrieb, die aus einem Ventilator und einem Filter bestehen und sowohl die Umgebungsluft von oben ansaugen und durch einen Filter in den Reinraum einblasen.

Bei vielen flexibel einsetzbaren Units wird durch Schlitz-Kassetten aus der Mitte des Gerätes heraus Luft aus dem Raum angesaugt und anschließend seitwärts über Vor- und Hepa-Filter wiedereingeführt. Dadurch wird eine hohe Partikelreinheit etwa in mobilen Reinraumkabinen oder -zelten hergestellt. Sie sind fester Bestandteil von portablen Komplettlösungen. Auch helfen Modulzellen in Form sogenannter Reinraumzellen Kosten sparen, da sie als preiswerte Alternative aus verschiedenen Modulen bedarfsgerecht errichtet werden können. Ein kompletter Reinraum ist mit Errichtung dieser Modulzelle nicht mehr nötig.

Neben Ventilatoren sind Entstaubungsanlagen zentrale Bestandteile einer jeden Absauganlage, standardmäßig mit einer Vibrationsabreinigung ausgestattet. Entstaubungsanlagen wiederum arbeiten mit Staubabscheidern, die den Staub durch Partikelfilter absaugen und so die Arbeitsluft reinhalten. Neben transportablen Entstaubungsanlagen (Punktabsaugung) gibt es auch fest installierte Entstaubungskabinen.

Statt einer Vibrationsabreinigung gibt es im Fachhandel Ausführungen mit einer Druckluft-Impuls Abreinigung. Bei der auch als Jet-Pulse Methode bezeichneten Abreinigungsart wird ein intensiver Druckluft-Stoß abgegeben, der die Strömungsrichtung umkehrt und dabei die Filterelemente kurz aufbläht.

Schläuche oder Taschen werden während der Filtrationsphase von außen nach innen durchströmt. Stabilität erhält das Modul in der Regel durch einen Stützrahmen. Die Druckstoß-Abreinigung findet dabei in regelmäßigen Intervallen von einigen wenigen Minuten statt, je nach Staubaufkommen.

 

Dass die hohen Anforderungen auch Norm-technisch festgeschrieben sind, ist klar: Eine gesetzliche vorgeschriebene, lückenlose Dokumentation und Nachvollziehbarkeit ist hier geboten, die in der EN ISO 14644 geregelt ist. (#02)

Dass die hohen Anforderungen auch Norm-technisch festgeschrieben sind, ist klar: Eine gesetzliche vorgeschriebene, lückenlose Dokumentation und Nachvollziehbarkeit ist hier geboten, die in der EN ISO 14644 geregelt ist. (#02)

ISO 14644 und VDI 2083

Dass die hohen Anforderungen auch Norm-technisch festgeschrieben sind, ist klar: Eine gesetzliche vorgeschriebene, lückenlose Dokumentation und Nachvollziehbarkeit ist hier geboten, die in der EN ISO 14644 geregelt ist.

Die prinzipiell für alle Branchen und Länder gültige Richtlinienreihe umfasst die Bereiche:

  • Planung
  • Betrieb und
  • Kontrolle

der Reinräume und setzt Vorschriften hinsichtlich Arbeitsbekleidung sowie Raumplanung, Raumlufttechnik und Oberflächenreinheit.

Insbesondere die für die Reinraumanforderung relevanten Konstruktionsdetails wie Maschinenkonfiguration, Funktionsbeschreibungen und Reinigungshinweise müssen dokumentarisiert nachweisbar und nachvollziehbar sein, um den bei der Spritzgieß-Herstellung hochsensibler Medizinprodukte notwendigen Produktionsstandard auf hohem Level halten zu können.

Dazu beschäftigt sich die DIN EN ISO 14644 im Rahmen einer zehnteiligen Abhandlung von Reinraumtechnik unter anderem mit einer Klassifizierung von Luftreinheit je nach Partikeldichte, Prüfverfahren, Planung und Betrieb.

Dagegen gehen die nationalen Standards der VDI 2083-Familie mit ihren 20 Blättern beziehungsweise Kategorien vergleichsweise noch wesentlich stärker in die Tiefe der Reinraumthematik, die zusätzlich etwa Aspekte wie Energie- und Kosteneffizienz von Reinräumen miteinbezieht.

Hohe Anschaffungs- und Betriebskosten

Nationales und Internationales Regelwerk zollen einer Entwicklung Tribut, die durch kontinuierliche Steigerung der Reinheitsanforderungen verbunden mit wachsendem Automatisierungsgebot in den letzten Jahren gekennzeichnet ist.Beides folgt letztlich auch dem Gebot von erhöhter Wirtschaftlichkeit vor dem Hintergrund gestiegenen Konkurrenzdrucks, die Fertigteile vollautomatisch und in großen Stückzahlen herzustellen, und dabei die Stückkosten so niedrig wie möglich zu halten.

Das Manko einer benötigten Reinraumtechnik besteht dabei nicht nur in hohen Investitionskosten, sondern schlägt sich auch in hohen, laufenden Betriebskosten etwa durch professionelle Reinigungsprozesse nieder. Hinzu kommen laufende Ausgaben für Verbrauchsgüter wie Handschuhe, Tücher und Kleidung.

Generell kostet die Einrichtung und Aufrechterhaltung bestimmter Reinraumklassen viel Energie in Form von Wärme, Kälte und Strom. Denn Anlagen mit hoher Genauigkeit bei der Temperatur- und Druckregelung, Ventilatoren wie Vakuumpumpen in Entstaubungsanlagen und spezielle Beleuchtung, die den Reinheitsanforderungen gerecht wird, kosten Energie.

Einwegkanülen werden in heutigen Produktionsprozessen überwiegend lasergesteuert verschweißt, wobei partikelfreie Produktionsprozesse eine nahezu hundertprozentige kontaminationsfreie Herstellung garantieren. (#03)

Einwegkanülen werden in heutigen Produktionsprozessen überwiegend lasergesteuert verschweißt, wobei partikelfreie Produktionsprozesse eine nahezu hundertprozentige kontaminationsfreie Herstellung garantieren. (#03)

Jeder Verunreinigung zu Leibe rücken

Den hohen Anschaffungs- und Betriebskosten, welche die verschiedenen Module im Reinraum verursachen, muss in der Medizinindustrie durch hohen Automatisierungsgrad entgegengesteuert werden, wie er heute in der Industrie Standard geworden ist. Er hat in reinraumgerechter Spritzgusstechnik sein fertigungstechnisches Äquivalent gefunden.

Produktionseffizienz wird etwa durch Einbindung vor- und nachgelagerter Arbeitsschritte in den Spritzgießprozess erzielt, wodurch Kanülen in kürzeren Zeittakten hergestellt werden können. Auch kann eine automatisierte Zuführung der Einlegeteile und Entnahme des Endprodukts helfen, Kosten einzusparen. Ausschuss und Verpackungsaufwand werden durch Inline-Qualitätssicherungen ebenfalls reduziert.

Während des Herstellungsprozesses kommt der Luftführung zentrale Bedeutung zu. Ihre Optimierung ist angezeigt, um die während des Herstellungsprozesses entstehenden Emissionen drastisch einzudämmen und vom Spritzgussartikel wirkungsvoll fernzuhalten.

Fertigungstechnisch schädliche Emissionen können Abriebpartikel wie Staub, Schmierfetttropfen und Öl-Nebel sein. Zudem sorgen ausgeklügelte Lüftungs- und Klimatechniken auf produktionstechnischer Seite für eine Viren-, Pollen- und Bakterienfreiheit, wie von der Medizin eingefordert. Kritischster Bereich ist beim Spritzgießen stets die Werkzeugoberfläche, die von Kontaminationen am stärksten betroffen ist. Hier muss am häufigsten die Luftqualität überprüft und kontrolliert werden.

Hilfs- und Betriebsstoffe sind weitere verunreinigende Faktoren, die den besonders empfindlichen Bereich der Düsen einer Spritzgießmaschine mit seinen verdampfenden Polymerschmelz-Emissionen nachteilig beeinflussen können. Letztlich ist der Mensch selbst mit einer der größten Verunreiniger, mit schätzungsweise circa 20.000 Partikeln, die minütlich an die Außenluft abgegeben werden – und dies trotz hocheffizienter Schutzkleidung in Form von Ganzkörper-Spezialanzügen.

Die Spritzenoberflächen werden mit Silikon beschichtet. (#04)

Die Spritzenoberflächen werden mit Silikon beschichtet. (#04)

Status Quo bei Injektionskanülen

Einwegkanülen werden in heutigen Produktionsprozessen überwiegend lasergesteuert verschweißt, wobei partikelfreie Produktionsprozesse eine nahezu hundertprozentige kontaminationsfreie Herstellung garantieren. In den letzten Jahren sind die Innendurchmesser trotz der Injektionsnadeln trotz gleichbleibendem äußeren Nadeldurchmesser stetig angewachsen, hochentwickelten Produktionsverfahren geschuldet.

Zusätzliche, mikroskopisch feine Schliffe wie etwa ein spezieller Facetten-Langschliff an der Nadelspitze sorgen für verbesserte Hautpunktion. Moderne Injektionskanülen werden branchenüblich aus einer Kombination aus Polypropylen (Luer-Lock-Kunststoff-Ansatz) und nichtrostendem Chrom-Nickel-Stahl (Kanülen-Rohr) gefertigt. Die Spritzenoberflächen werden mit Silikon beschichtet.

Standard-Schliffe wie Einfachschliff, Facettenschliff und Hinter-Schliff sind in der Norm DIN 13097 vorgegeben und die einzelnen Schliff-Geometrien beschrieben. In modernsten Produktionsanlagen ist durch Einsatz kompakter Maschinenplattformen ein besonders hoher Automations-Grad erreicht, der sämtliche Schritte in einer Produktionskette umfasst und integriert.

So werden in einem übergreifenden Arbeitsprozess die bereits abgelängten Rohrabschnitte automatisch in Warenträger eingespannt, die Schliffgeometrie angebracht, Teilbereiche abgerundet (Antiscoring), eine Silikonschicht auf die Spitze aufgetragen (Passivierung), sowie die Kanülen abschließend gereinigt und getrocknet.


BIldnachweis:©Shutterstock.Titelbild: Gecko Studio _-#01: al7-#02: felipe caparros-#03: Dmitry Kalinovsky_-#04: Tom Mc Nemar

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